Unbegrenzte Ideen. Ein Gastbeitrag von Anne Batisweiler.

Wie kann gelungene Kinoarchitektur dazu beitragen, auch in schwierigen Zeiten ein Kino sicher und erfolgreich zu betreiben? Wir lassen hierzu eine führende Spezialistin zu Wort kommen.

Das Dolby Cinema im Mathäser ist eines der aktuellen Projekte von Anne Batisweiler.

Home-Cinema, Beamer, riesige Flatscreens und Anlagen, die Kinosound nachahmen, bedrohen die Existenz unserer Kinos. Verkürzte Auswertungsfenster, SVoD-Portale wie Netflix, Amazon und Co. ebenso. So oder so ähnlich ist es zu vernehmen. Doch wie kann das Kino weiterhin existieren? Und was hat Kinoarchitektur damit zu tun?

Seit es das Medium Film gibt, bestand immer ein Zusammenhang zwischen der Technik, dem Komfort und dem Abspielort. Waren die frühen Wanderkinos hauptsächlich in Jahrmarktsbuden zu finden, suchten die zunehmend beliebten Kinematographen bald Unterschlupf in Gaststätten oder Versammlungsräumen. Die Technik bestand damals nur aus dem Projektor. Anfangs halfen Texteinblendungen dabei, die Szenen zu verstehen, später gestalteten Elemente wie Erzähler oder Klavierbegleitungen die Vorführungen noch interessanter. Schon bald führte die Faszination für die bewegten Bilder dazu, dass eigene, feste Bauten entstanden, die man ab da Lichtspieltheater oder schlicht Kino nannte. Das war die Geburtsstunde der Kinoarchitektur, welche seit jeher die Aufgabe hat, für Besucher und Spielbetrieb die besten Bedingungen zu bieten. Diese wiederum änderten sich rasend schnell: Gepolsterte Sessel ersetzten Holzbänke, riesige Filmpaläste entstanden, von denen einige sogar ganze Orchester beherbergen konnten.

Die Anforderungen an die Architektur des Kinos haben sich im Lauf der Jahrzehnte immer wieder gewandelt. Als erst das Fernsehen und später die Videokassette die Haushalte eroberten, wurden viele Lichtspielhäuser baulich in kleine Räume unterteilt, um mit möglichst großem Filmangebot zu überleben. Viele mussten dennoch schließen. Anfang der 1990er kam durch die Multiplexe wieder ein Aufschwung. Diese glänzten mit hohen gläsernen Foyers, der Kombination mit integrierter Gastronomie und mit Kinosälen, die wieder gute Sicht und große Leinwände in Form der „vierten Wand“ boten. Spektakuläre Architekturen vermehrten sich rasch.

Dann, Anfang des 21. Jahrhunderts, kam der Aufbruch in die digitale Welt. Als Computer und Mobiltelefone überall „normal“ wurden, begann auch die Umstellung der analogen hin zur digitalen Filmtechnik – doch parallel traten zu den VHS-Nachfolgern namens DVDs & Blu-ray u.a. YouTube, Tablets, Apps, Streamingdienste und Serienflut. Die permanente Verfügbarkeit von bewegten Bildern und deren Verbreitung über das Internet machen den Kinos heute erneut zu schaffen.

Indes teilen sie die Bedrohung durch das WorldWideWeb nicht zuletzt mit dem Einzelhandel – weswegen sich der Blick über den Tellerrand lohnt: Gegenüber Amazon, Zalando und Konsorten entwickelten sich Einkaufszentren zu echten Erlebniswelten; zu freundlich-hellen Malls mit Spielecken und Sitzinseln, mit gutem Design, vielfältigem gastronomischen Angebot, Komfort in der Parkgarage – und immer wieder mit Events und Sonderaktionen zu ausgewählten Themen. Einkaufen in der physischen Welt ist zum Erlebnis geworden. Kinoarchitektur wiederum war schon immer Erlebnisarchitektur. Doch auch hier gilt es, noch etwas drauf zu setzen – die Schlagworte „Technik“, „Komfort“ und „Erlebnis“ wieder stärker zu verankern.

Unschlagbare Pluspunkte des Kinos sind der große Raum, das riesige Bild, der bombastische Sound und die Möglichkeit, eine Erfahrung mit vielen Gleichgesinnten zu teilen. Hier muss Kinoarchitektur ansetzen.

Sie muss akustisch ausgefeilte Lösungen bereitstellen, muss Raum schaffen für großzügig bemessene Bestuhlung; für Luxussitze, die Tischchen, verstellbare Rückenlehnen oder gar die Möglichkeit bieten, die Beine hoch zu legen.

Anne Batisweiler Die Diplom-Ingenieurin und Diplom-Designerin plant und realisiert mit ihrem Team von Kinoplanung Batisweiler seit fast 30 Jahren Um-, An- und Neubauten in ganz Deutschland und im Ausland.

Doch nicht nur tiefere Sitzreihen zählen zu den modernen Anforderungen: D-Box verlangt nach besonders belastbaren Podesten, 3D-Sound nach verstärkten Wand- und Deckenkonstruktionen – und moderne Laserprojektion nach Unterbauten für den sogenannten „Shaker“, der den Speckle-Effekt ausmerzt. Das Imax-Konzept sieht besonders hohe Räume mit steiler Rampung vor – und den Einstieg in das Dolby-Cinema-Erlebnis schafft ein Audiovisual Pathway genannter, geschwungener Gang, dessen Wände mit mehreren Deckenprojektoren bespielt werden. Punkten kann das Kino auch mit zahlreichen anderen Besonderheiten, die jeweils ganz eigene Anforderungen stellen: Service am Platz erfordert breitere Durchgänge, für hochwertiges Catering sollte eine Vorbereitungsküche in der Nähe sein und die Lounge punktet vor allem dann, wenn sie als entspannter Rückzugsbereich gestaltet ist. Gute Kinoarchitektur schafft neue Raumkonzepte unter Berücksichtigung ganz wesentlicher Parameter: robuster und pflegeleichter Materialien, langlebiger und wartungsarmer Gerätschaften oder energiesparender Beleuchtung. Ein professioneller Kinoarchitekt achtet auf Funktionalität, auf kurze Wege, auf leichte Orientierung, er empfiehlt Annehmlichkeiten wie eine Garderobe, Schließfächer, kostenloses WiFi oder Ladestationen für Handys (im Foyer) und Elektroautos (in der Parkgarage) gleichermaßen.

Der besondere Ort, kreiert durch außergewöhnliche Gestaltung, technische Finesse und ausgefeilte Atmosphäre, erschafft das Spielfeld für stets neue Inszenierungen rund um die Wunderwelt des Films. Gefragt sind Diversifikation und Alleinstellungsmerkmale. Wie wäre es z.B. mit einem Open-Air-Kino (mit Kopfhörern) als Eventlocation auf dem Dach? Kein Popcorn-Geraschel hören und doch mit vielen anderen Menschen verbunden zu sein, hat eine ganz eigene Magie. Und Kinosäle mit Betten, Liegewiesen oder Whirlpools – auch wenn es nur ein paar sind – sorgen gewiss für Furore. Ideenreichtum, Erfahrung und Umsetzungskompetenz heißen die Zauberworte, wie mit Kinoarchitektur Betreiber unterstützt werden, auch in schwierigen Zeiten ihr Kino erfolgreich in die Zukunft zu führen.

 

 

Quelle: BLICKPUNKT:FILM | FOKUS KINO
Verlag: Blickpunkt:Film GmbH
Redakteur: Anne Batisweiler
Fotos: Wolfgang Pulfer, München (Dolby Cinema München), Dorothee Elfring, Barcelona (Portrait Anne Batisweiler)