Immer wenn es dunkel wird

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Innenarchitektin Anne Batisweiler hat sich auf Lichtspielhäuser spezialisiert. (Foto: Robert Haas)

Die Innenarchitektin Anne Batisweiler plant und illuminiert Kinos. In der Lichtwoche München führt sie durch das renovierte Neue Rex Laim und erklärt, wie Beleuchtung mitwirkt an der großen Illusion Film

Alles ist schließlich möglich, wenn es dunkel wird. Wirklich alles. Das ist schon ein großes Glück“, beendet der Filmkritiker Michael Althen sein Buch „Warte, bis es dunkel ist“, das jeder gelesen haben sollte, der das Kino auch nur ansatzweise liebt. Eine, die an der Illusion mitwirkt, dass einem die grelle Wirklichkeit zumindest bis zum Abspann abhanden kommt, ist Anne Batisweiler. „Wenn das Licht aus ist, muss ich den Film sehen und sonst nichts“, sagt sie mit Nachdruck. Seit rund 25 Jahren entwirft die Innenarchitektin und Lichtdesignerin Konzepte für Kinos. Das Wort „Lichtspielhaus“ hat für sie eine ganz eigene Bedeutung. An diesem Sonntag, 30. Oktober, führt Batisweiler durch das Neue Rex in Laim, ein Münchner Traditionskino, das jüngst nach ihren Plänen umgebaut wurde. Das Angebot gehört zum Programm der „Lichtwoche München“, die noch bis 4. November ein breites Spektrum an optischen Reizen in der Stadt wirken lässt.

In der denkmalgeschützten Villa der Architektin im Pasinger Süden empfängt einen zunächst freudig ihr Hund, einen Turnschuh im Maul. Während man das Zuhause nach Lichtquellen scannt, lässt einen das Tier nicht aus den Augen. Den Treppenaufgang ziert, als optischer Bruch zu zwei düster-strengen Ölporträts der vormaligen Hausbesitzer, ein knallbunter Kronleuchter, im Besprechungszimmer von Batisweilers Büro im Erdgeschoss hängen zwei Lampen, die wie Eimer aussehen. Ein Ikea-Modell der Jahrtausendwende. Doch rasch zurück zur Dunkelheit im Lichtspielhaus. Was bei Michael Althen nach dem sachten Löschen einer Laterne oder dem Auspusten einer Kerze klingt, hört sich aus dem Mund einer Innenarchitektin staubnüchtern an. Denn so einfach ist es nicht, Finsternis im Kinosaal herzustellen: Diverse EU- und DIN-Normen für Sicherheitsbeleuchtungsanlagen seien da einzuhalten, erklärt die 54-Jährige. Schließlich müssten die Leute im Notfall oder auch nur für ein dringendes Bedürfnis zügig aus dem Saal finden. Aber wie oft erlebt es Batisweiler, dass die beleuchteten Fluchtwegpiktogramme für die Größe eines Saals überdimensioniert sind, Vorschriften übererfüllt werden? Kleinere Piktos würden da völlig ausreichen. Winzige Kniffe, große Wirkung.

Spricht man über Licht im Kino, geht es aber um weit mehr als die flimmernde Leinwand im nachtschwarzen Saal. Batisweiler hat in über zwei Jahrzehnten viele Münchner Kinos geplant, umgeplant, bei vielen Projekten mitgewirkt. Neben dem Neuen Rex waren das so unterschiedliche Häuser wie das Atelier, das Atlantis, Eldorado oder Gabriel-Filmtheater, die Museumslichtspiele und den Gloria-Palast, aber auch Multiplex-Burgen wie das CinemaxX oder das Mathäser waren darunter. Und von ihr stammt das Konzept für das Cinema Baikonur in Almaty/Kasachstan. Dort schauen die Leute nicht nur den russischen Raketen nach, die vom Weltraumbahnhof aus ins All aufbrechen. Sie gehen auch ins Kino.

„Jedes Kino hat eine eigene Geschichte“, sagt Anne Batisweiler. In der Architektur, der Fassade eines Gebäudes müsse ablesbar sein, wofür es da ist. Ein Lichtspielhaus sollte schon bei Tageslicht signalisieren, was im Inneren vor sich geht. Die Neonschriftzüge von früher hätten keine lange Lebensdauer gehabt, seien zudem teuer und umweltbelastend gewesen. Mit der LED-Technik heute sei viel mehr möglich. Im Foyer eines Kinos, erklärt Batisweiler, dürfen die Besucher weder Dunkelecken mit Funzellicht erwarten, noch grelle OP-Saalbeleuchtung, das Popcorn sollte gut ausgeleuchtet sein. Das Licht müsse Akzente setzen, den Raum erforschen, eine Art Dramaturgie sei das. Batisweiler nennt den Gloria-Palast als Beispiel. Vom einst mondänen 50er-Jahre-Charme dieses Traditionshauses sei in den Achtzigerjahren auch nach einer Renovierung nicht mehr viel übrig gewesen. Nach dem Gestaltungskonzept, das Batisweilers Büro entwarf, wurden die alten, funkelnden Wassertropfen-Leuchten durch Fontänen aus Strasssteinen mit LED-Technik ersetzt, als ein Zitat farbig illuminierter Wasserspiele vor der Leinwand, die einst immer auch die ersten Sitzreihen etwas durchfeuchteten.

„Du verdirbst dir die Augen“ musste sich Michael Althen als Kind von seinen Eltern anhören. „Dem Auge“, sagt Lichtplanerin Batisweiler, „muss man Zeit geben, sich an die Dunkelheit im Kinosaal zu gewöhnen.“ Im Rex hat sie deshalb im Flur Lichtschleusen angelegt. Hat man sie passiert – um noch mal Michael Althen zu zitieren – ,,wird es wirklich dunkel, und dann betrittst du jene Welt, die von Anfang an auf dich gewartet zu haben scheint“.

Artikel in der Süddeutschen Zeitung München: 28.10.2016
Autorin: Jutta Czeguhn | Foto: Robert Haas
Verlag: Süddeutscher Verlag GmbH | www.sueddeutsche.de