Traumfabrik Kino – eine Herausforderung in Sachen Licht – Teil 1

Lichtspieltheater – in diesem geradezu antiquiert anmutenden Wort steckte es schon drin: Kinos spielen mit Licht!
Aber nicht nur um den Film auf die Bildwand zu projizieren, sondern vor allem um Raum und Farben für den Kinobesucher in ein angenehmes Ambiente, den Kinosaal in eine wohlig-spannende Atmosphäre zu tauchen. Hier sollen Stimmung, Illusion und Glamour á la Hollywood ihren Ausdruck finden!
Und doch darf bei aller Spielerei nicht vergessen werden, dass auch Not-, Panik- oder Putzbeleuchtung wichtige lichttechnische Elemente für den Kinobetrieb sind. Hierfür wird den Planern eine Menge Know-how abverlangt, das ohne die Zusammenarbeit mit Beleuchtungsprofis, durch Lichtversuche oder Computerberechnungen kaum möglich ist. Vielfältigste Bestimmungen und Anforderungen sind zu berücksichtigen.
Anhand einiger Kino-Projekte der Münchner Innenarchitektinnen Anne Batisweiler und Barbara Adelmann (in Zusammenarbeit mit LINIE 8, Lichttechnik München) wollen wir diesem „Spiel mit dem Licht“ auf die Schliche kommen: Im Verlauf des Vorstellungsbeginns wird über eine Matrix das vordere Licht weggedimmt und die hintere Beleuchtungsreihe hochgeschaltet. Plötzlich werden die Streckgitterelemente durchsichtig wie ein Schleier, und die dahinter befindliche Bildwand wird sichtbar. Langsam, langsam öffnet sich nun der Vorhang von der Mitte aus. Die Filmprojektion kann beginnen…

15_03_05Beitragsbiled01_Atelier-Kino-_-005Das Atelier.

Das ATELIER-KINO in München

Entwurfsgedanken und –ideen: Der ATELIER-2-Saal
Klein, aber fein sollte es werden, das Atelier-Kino – und in einigen Dingen so ganz anders gestaltet sein als die üblichen Kinosäle. Bei knappem Budget und wenig Zeit für Experimente wurde zunächst überlegt, was an preiswerten Materialien zur Verwendung stand und wie diese dann möglichst spannungsreich zum Einsatz gebracht werden könnten.
In den Überlegungen tauchten Materialien auf wie Streckmetall, Sperrholz, Kork, Linoleum… Daraus entwickelte sich das Konzept: ein Warm-Kalt-Kontrast aus grünen Sesseln auf einem honigbraunen Kork- und einem dunklen Linoleumboden zu dem eisig-silbern glänzenden Aluminiumvorhang. Die Wandelemente waren geplant aus klar- und schwarz lackiertem Holz kombiniert mit genieteten Metallprofilen.
Während sich der gedämpft beleuchtete Saal langsam mit Kinobesuchern füllt, werden die seitlichen Wandelemente aus Sperrholz in rhytmisch-wechselnden Intervallen von engstrahlenden Lichtern be- und durchleuchtet. Die dunkelgrünen Plexi-Ellipsen an der Verbindungsstelle zwischen dem oberen und dem unteren Teil der „Zauberbäume“ werfen somit abwechselnd langgezogene grüne Schatten nach vorn und hinten an die Wände.
Kaum hat man eine Farb-Licht-Schatten-Kombination entdeckt, verschwindet sie auf geheimnisvolle Weise, um dann Sekunden später wieder aufzutauchen.
Ein besonderer Blickfang á la „Sesam-öffne-dich“ ist der Bühnenvorhang aus Aluminium-Streckgitterelementen, die sich nach zwei Seiten hintereinander schieben. Davor und dahinter befindet sich jeweils ein auf den Bodenaufgesetzter Beleuchtungsschacht mit Wellengitter und Niedervoltleuchten. Im geschlossenen Zustand wird der „Vorhang“ nur von vorn unten beleuchtet, was die Streckgitter mit Glanz und Glitzer erstrahlen lässt.

Im Verlauf des Vorstellungsbeginns wird über eine Matrix das vordere Licht weggedimmt und die hintere Beleuchtungsreihe hoch geschaltet. Plötzlich werden die Streckgitterelemente durchsichtig wie ein Schleier, und die dahinter befindliche Bildwand wird sichtbar. Langsam, langsam öffnet sich nun der Vorhang von der Mitte aus. Die Filmprojektion kann beginnen…

Das ATELIER-Foyer
Schon von außen ist er zu sehen, der blaue Lichtschein des Bildwerferraums. Hier sollte die Kinotechnik einmal nicht versteckt, sondern durch große Glasscheiben hinter der Kassen- und Verkaufstheke sichtbar und ins rechte Licht gerückt werden: „So sieht das also aus, wo der Film abgespielt wird, den wir im Kinosaal zu sehen bekommen…“ Und während des Wartens auf den Einlaß kann man dem Filmvorführer beim Einlegen der Filme zusehen.
Das Foyer soll mit seinen Material- (Kork, MDF, Edelstahl und Aluminium) und Farbkontrasten (warm – kalt) bereits auf die Atmosphäre der Kinosäle einstimmen. Die klaren Linien und Formen wurden bewußt gewählt, um Wirkungsraum für die großen und kleinen bunten Dinge, fürs Publikum, die Filmplakate, die Süßigkeiten zu schaffen.
Auch ohne Filmplakate zeigen sie eine dramatische Wirkung, die Plakatträger! An dünnen Edelstahlseilen, verspannt, in einem mit Eisenglimmer lackierten Rahmen, befestigt der Dekorateur mit kleinen Krokoklemmen die Szenenfotos und Filmplakate. Selbst vor WC-Piktogrammen wurde kein Halt gemacht…! Gestaltung überall.

15_03_05_Beitragsbild_02_Atelier-Kino-_-003Vorhang-Beleuchtung.

15_03_05Beitagsbild_03_Atelierkino-ThekeDas Foyer.

Gedanken zum Thema Licht
Licht war zu meiner Studienzeit leider noch kein großes Thema, es wurde als Studienfach auch nicht gelehrt. Inzwischen hat sich da glücklicherweise an den Hochschulen einiges geändert.
Für mich war es folglich ein sehr wichtiges Zusammentreffen, dass ich eine Lichtplanungsfirma kennenlernte, die mir im Zuge diverser Projekte eine Menge über Lampen, Leuchtmittel, Beleuchtung und Licht vermittelte. Zunächst mussten erst einmal mein Gefühl und der Blick für Lichtgestaltung und Lichtfarben geschärft werden, unabhängig vom Wissen um die vielen technischen Anforderungen und Möglichkeiten.
Viele Menschen spüren zwar, wenn das Licht stimmt, aber warum – das ist fast wie ein Geheimnis. Es hat viel mit Gefühl, Erfahrung und Know-how zu tun und bedarf ständiger Beschäftigung mit diesem Medium, um als Gestalter am Puls der Zeit und der Möglichkeiten zu bleiben.
Licht ist einfach mehr als Beleuchtung. Licht ist Stimmung, Spannung, Farbe, Bewegung oder Beruhigung, Spiel mit Schatten und Strukturen, Lebendigkeit, Wärme oder Kälte, grell oder schlichtweg nicht vorhanden. Licht entspricht unseren Sinnen, wir erleben es „sinnlich“. Es beeinflusst unsere Gefühle, hilft dem Verstand bei der Arbeit, im Leben.

Heute kann ich mir Gestaltung in der Innenarchitektur oder bei Raumkonzeptionen ohne entsprechende Lichtplanung einfach nicht mehr vorstellen – sie ist überhaupt nicht mehr wegzudenken!
Die Möbel, Waren, Zonen, Objekte, Menschen… – sie alle müssen ins rechte Licht gerückt werden, sonst kommt der schönste Entwurf nicht rüber!

Statements
Eine Auswahl frei nach Gefühl…
Jedes Projekt hat seine eigene, einzigartige Geschichte und bekommt von mir daher auch seine eigene, individuelle Gestaltung.
Ein guter Entwurf geht auf wie eine Mathematikaufgabe: Funktionen, Formen, Materialien und Farben greifen ineinander, so dass die Aufgabenstellung optimal gelöst ist. Ich möchte Gesamtkonzepte machen, kein Stückwerk.
Es gibt für jedes Problem und jede Anforderung eine Lösung – oft mehrere, wenn man gern tüftelt und Ideen hat.
Zuerst kommt die Funktionsanforderung, dann erst die Gestaltung mit Material, Form, Farbe und auch die Kosten haben noch ein Wörtchen mitzureden.
Wenn ich etwas plane, versuche ich immer die Rollen aller Nutzer dieser Räume und Möbel durchzuspielen, also z.B. den Besucher, den Kartenverkäufer, den Kinobesitzer, die Putzfrau, den Hausmeister usw.
Mit je weniger Materialien, Farben, Oberflächen und Strukturen ein Entwurf umzusetzen ist, um so besser. Das vereinfacht, beruhigt und ist pflegeleichter.
Licht und Farbe bestimmen zum größten Teil die Gestaltung und Atmosphäre. Dabei ist Licht wichtiger als Lampen. Farbe erfüllt auch Funktionen.
Ich bin erst zufrieden, wenn meine Kunden zufrieden sind. Manchmal bin ich’s trotzdem nicht.
Ich möchte mich nicht auf eine Gestaltungslinie festlegen. In der Abwechslung steckt die Kreativität. Eine Handschrift wird es trotzdem geben.
Ich liebe es, altbekannte Dinge in einen völlig neuen Kontext zu setzen.

Anne Batisweiler stellt sich vor

Kurzbiografie:
1962 geboren

Ausbildung:
1982 – 1987

Studium der Innenarchitektur an der FH Rosenheim: 1987 – 1990
Studium der Visuellen Kommunikation an der HdK Berlin: 1988 – 1990 Stipendium

Beruf
seit 1990
Freiberuflich / selbständig tätig als Innenarchitektin, Designerin und Ausstellungsgestalterin

1990 – 1991
Lehrauftrag für das Fach „Entwerfen“ am Fachbereich Innenarchitektur an der FH Rosenheim

Seit 1991
Lehrauftrag für „Materialkunde“ und „Modellbau“ am Studiengang Szenografie der FH Rosenheim

1992 – 1994
Projektbezogene Zusammenarbeit mit Dipl.-Ing. (FH) Barbara Adelmann

Projekte

Seit 1990
Läden, Büros, Kantinen, Cafés, Kneipen, Diskotheken, Foyers und Kinosäle, Messestände, Multimedia-Shows, Oktoberfestzelt, Ausstellungsgestaltungen, Passagen, Dachausbauten, Wohnungen, Praxen, Fassaden, Überdachungen, Renovierungen …

Präsentation

Seit 1990
Diverse Ausstellungen und Veröffentlichungen

Beitrag in LICHT – 02/1996
Autorin: Anne Batisweiler
Verlag: Richard Pflaum Verlag GmbH & Co. KG
www.lichtnet.de

 

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