Wie im Film

15_03_04-Foto-1-VFA Profil 2-1996_1024pxKinosaal Royal: Versuch, das Kino dem Glanz der alten Hollywood-Ära anzugleichen.

 

Wenn man die architektonischen Maßstäbe von vor 200 Jahren anlegt, ist eigentlich einiges ganz einfach. Und viele würden verstehen, warum beispielsweise für die Ausstattung von Kinosälen andere Kriterien gelten als etwa für einen Konzertsaal. Damals erfanden die von der ausufernden Orient- und Exotismus-Mode geschockten Architekturkritiker die Einteilung in „ernste“ Baukunst und Gebäude „weltlich heiteren Charakters“.

Die ernste, an der Antike orientierte Sprache blieb Rathäusern, Gefängnissen, Gerichtsgebäuden, Museen und ähnlichem vorbehalten. Der ausschweifende, von allerlei Arabesken geprägte Geschmack diente vor allem der Gestaltung von Kaffee- und Gartenhäusern, Herrenhäusern in Parkanlagen, Moscheen und türkischen Bädern. Gäbe es auch heute noch solche praktischen Unterscheidungen, so fiele es manchem leichter, Erlebnis-Bäder, Freizeit-Zentren, Musical-Halls oder Kinos als das zu betrachten was sie sind, nämlich „Unterhaltungsarchitektur“.

Und die darf eben etwas phantasievoller, illusionärer, spektakulärer gestaltet sein als beispielsweise eine Fabrikanlage. Die klassische Moderne des Bauhauses ließ uns das vergessen. Die Protagonisten predigten „form follows function“ – mit der Folge, dass man Mies van der Rohes Berliner Neue Nationalgalerie auch für eine Sporthalle halten (und sie sogar so nutzen) könnte. Kinosäle wurden – siehe Bauentwurfslehre von Ernst Neufert – auf feuerbeständige Decken, Mindest-Raumhöhe und minimale Sitzreihenabstände reduziert. Als Vorbereitung aufs Eintauchen in phantastische Welten ist das ganz schön öde.

Wohl auch deshalb genügt dies heute nicht mehr, um Säle zu füllen. Die neuen Generationen von „Lichtspieltheatern“ bieten dem Besucher schon vor dem Spektakel auf der Leinwand und aus dem Lautsprecher ein gesteigertes visuelles Erlebnis. Das Münchner Planungsbüro von Barbara Adelmann und Anne Batisweiler hat für die Ausstattung von Kinosälen eine spezielle Strategie entwickelt, die inzwischen schon an knapp zehn, zumeist umgebauten Beispielen erprobt wurde. Der Zuschauerraum bietet sozusagen eine Art Vorgeschmack auf die illusionären Ebene des folgenden Films. Das darf man freilich nicht so verstehen, dass die Kulissenarchitektur vor einem Sciencefiction visionäre Narreteien, vor einer Romantik-Schmonzette rosarote Schleifchen mit Rosenduft und vor einem Fantasy-Film martialisches Säbelrasseln präsentiert. Auch zusammenhanglose Phantastereien vermeiden die beiden Innenarchitektinnen weitgehend. Sie gestalten jeden Kinosaal unter einem Motto, das sich an funktionellen Anforderungen und räumlichen Konstanten orientiert und das möglichst stringent durchgehalten und einfallsreich umgesetzt wird. Zum Beispiel „Das Raumschiff“ im Royal am Münchner Goetheplatz, oder etwas profan, „Kinosaal B“. Der Saal besitzt bereits eine sich nach hinten verjüngende, konische Form. Um den Eindruck einer Raumkapsel zu verstärken, die ja selten mit orthogonalgeometrischen Formen aufwartet, wurden die Paneele außerdem aus der Vertikalen gekippt und ragen oben in den Raum hinein. Die Stoßfugen der dunkelblau gebeizten Akustikpaneele verwirren zusätzlich. Sie folgen nicht der Vertikalen, sondern stehen senkrecht zur ansteigenden Ebene der Sitzreihen. So können die Verkleidungselemente auch ohne Verschnitt am wirtschaftlichsten eingesetzt werden.

15_03_04-Foto-2-VFA-Profil-2-1996_366-x-264Kino: Ganz in Rot.

15_03_04-Foto-3-VFA-Profil-2-1996_366pxKino: Gleich hebt das Raumschiff ab…

Die Lautsprecheröffnungen betonen die Struktur in dem sie sich ihr unterordnen. Umso stärker fallen die benachbarten Nischen, in denen die indirekte Beleuchtung untergebracht ist, aus dem Rahmen. Schief, völlig regellos und mit bizarren Grundflächen scheinen sie einzig die Lust am Schrägen zu demonstrieren. Aber auch dahinter steckt eine nachvollziehbare Idee. Ein Fenster auf der Erde sollte möglichst eine gute Aussicht und als Orientierungsmerkmal den Horizont zeigen. Daraus ergibt sich fast zwangsläufig eine rechteckige Form, die den Blick horizontal lenkt. Im Weltall ist das nicht unbedingt sinnvoll. Die interessanten Sternen-Konstellationen können oben und unten sein, und die Ausschnitte bedürfen keiner formalen Einengung. Auffällig ist die Kombination von Form und Funktion. Arabeskenhafte Dekorationen schätzen die Entwerferinnen nicht. So dienen die kleinen Parabolspiegel an der Decke nicht etwa nur dem Effekt. Auf sie richten sich die auf den Wandfugen befestigten Strahler, um das Licht auf die blauen Sitze umzulenken und abzumildern. Die dunklen Schatten auf der Decke verstärken den fliegenden Charakter der Aluminiumspiegel. Und die frei im Raum positionierten Strahler erleichtern (und verbilligen) das Auswechseln der Leuchtmittel entscheidend. Nur ein Detail ist reine Show in diesem Saal, die Verkleidung der riesigen, den Raum durchschneidenden Unterzüge. Die geschwungenen, kleinteiligen Verkleidungselemente verleihen dem Volumen einerseits tatsächlich einen futuristischen Touch wie in einem Space-Shuttle, andererseits nehmen sie den einst klotzig-monumentalen Betonbalken geschickt die Schwere. Dazu taugt das verwendete Material Streckmetall wie kein zweites. Die große, halbdurchsichtige Struktur erweckt den Eindruck eines Hohlkörpers, der von der Decke abgehängt ist.

Der Idee, gestalterische Dynamik zu produzieren, folgt auch der riesige Propeller an der Saalrückwand zwischen den beiden Fenstern des Bildwerferraums. Die Beleuchtung von hinten durch blinkende Tube-Lights suggeriert eine rotierende Bewegung, wie sie etwa eine Schiffsschraube erzeugt. Gegenüber an der Leinwandseite spielen die Designerinnen das Thema „Cockpit“. Der unter der Leinwand angebrachte „Kühlergrill“, als Luft-Einlaßgitter für die Klimatisierung und Lüftung des Saals notwendig, changiert in den Farben Orange und Blau. Die hinter dem Bühnenträger versteckten Strahler werfen selbst auf den Boden noch farbige Lichtgebilde. Wenn der Film beginnt, hebt sich die Kaschierung der Leinwand und der Blick öffnet sich in die „Weite des Alls“ (oder zumindest in die Welt der cineastischen Illusion). Im „Drachensaal“ desselben Kinos ließen sich Batisweiler und Adelmann von den dicken Stützen, Unterzügen und immer wiederkehrenden Nischen inspirieren. Das Gefühl, sich im Skelett eines Groß-Reptils zu befinden, nahm ästhetisch Gestalt an. Sämtliche Elemente des Saals sind in diversen, sich beißenden Grüntönen gehalten. Der Vorhang erhält schillernde spitzige Zacken, die auf dem seetanggrünen Textil wie Hautfetzen wirken. Die Zick-Zack-Form der Decke erinnert an Schuppen und die unregelmäßig verteilten Beleuchtungskörper aus Lochblechhalbkugeln, aus denen grünes Licht strahlt. Giftdrüsen, Pickel oder andere gefährliche Ausscheidungsorgane sehen so ähnlich aus. Zum Fürchten. Weniger gefährlich ist der „Königssaal“, der royalblaue Sessel erhielt. Hier ist es die perfekte Detaillierung, die besonders ins Auge sticht und den majestätischen Anspruch untermalt. Mit echten Nagelbeschlägen wurden sowohl die Samtpolsterung auf den Türen als auch die dünnen Kupferstreifen auf den pflaumenblauen Wandbespannung montiert. Von Spotlights illuminierte Kupferkronen und –bleche and der Decke komplettieren das noble Ambiente.

15_03_03_Beitragsbild_01-x-1024_Kino-Royal-_-004Kino: Assoziationen an giftgrünen Schleim, der in Horrorfilmen aus allen Ritzen wabert.

Mit einem knappen Budget mußte die Gestaltung von Saal 2 im Atelier-Kino in München bewerkstelligt werden. Das Konzept entwickelte sich aus der Wahl der preiswerten Materialien, die in einen „Warm-Kalt-Kontrast“ gesetzt wurden. Der Bühnenvorhang aus Aluminium-Streckgitter wird dabei zum Eye-Catcher. Vor der Filmprojektion präsentiert er sich metallisch glänzend und undurchsichtig, weil er von vorn beleuchtet wird. Beim langsamen Öffnen der Elemente ändert sich die Belichtung. Die hinter dem Vorhang angeordneten Scheinwerfer werden langsam hochgedimmt, wodurch das Gitter durchsichtig wird und den Blick auf die Leinwand freigibt. Der Zuschauerraum, in dem die „warmen“ Materialien wie grüne Sessel, honigbrauner Kork, dunkler Linoleumboden dominieren, erhielt als Akzentuierung Sperrholzelemente mit ellipsenförmigen Öffnungen, die teilweise mit grünem Plexiglas ausgefüllt sind. Zu „Zauberbäumen“ werden die durchlöcherten Bretter mit Hilfe von beweglichen, engstrahligen Spots. So wandern auf den Wänden unterschiedliche Licht-Ellipsen umher.

Eine Variation des Themas „Weltall“ in Gold, Orange und Sonnengelb ist der Saal 3 der Stuttgarter Ambo Kinos. Lampen und Lautsprecher wurden hinter riesigen, goldeloxierten Lochblechschalen versteckt. Beim Besucher soll der Eindruck entstehen, als säße er zwischen golden strahlenden Sonnen, Mond und Sternen.

Nicht verleugnen lässt sich in all diesen Ausstattungen die Nähe zur Filmarchitektur. So manche Kinosaal-Gestaltung könnte ja bereits als Kulisse für einen Film dienen. Wundern muß das nur auf den ersten Blick. Wenn man allerdings weiß, daß Anne Batisweiler seit 1991 einen Lehrauftrag am Studiengang „Szenografie“ im Fachbereich Innenarchitektur an der Fachhochschule Rosenheim hat, ist alles klar.

Porträt

Die 1955 in Würzburg geborene Barbara Adelmann studierte nach ihrem Fachabitur (Richtung Grafik und Design) und einer abgeschlossenen Bauzeichner-Lehre von 1980 bis 1985 Innenarchitektur an der Fachhochschule in Rosenheim. Zwischen 1986 und 89 bearbeitete sie freiberuflich in Architekturbüros Innenraumgestaltungen, anschließend entwarf sie Ladeneinrichtungen und Möbel für cardiac, München. Ab 1991 entstanden zahlreiche Architektur- und Innenarchitekturprojekte wie Arztpraxen, Büroräume, Läden und Kinos in Zusammenarbeit mit Anne Batisweiler.

Die 1962 in Niedersachsen geborene Anne Batisweiler schloß 1987 das Studium der Innenarchitektur in Rosenheim ab. Es folgte von 1987 bis 1990 das Studium der Visuellen Kommunikation an der HdK in Berlin, zwischen 1988 und 1990 arbeitete sie freiberuflich als Innenarchitektin, Designerin und Ausstellungsgestalterin, teilweise zusammen mit Barbara Adelmann. Außerdem hat sie seit 1990 einen Lehrauftrag.

 

Beitrag in VfA Profil 02/1996
Autor: Joachim Goetz
Verlag: Profil Bauzeitschriften Verlag GmbH
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