Kino Architektur

Kinoträume

15_03_03_Beitragsbild_01-x-1024_Kino-Royal-_-004Der Drachensaal im Royal, München.

Die Münchner Innenarchitektin Anne Batisweiler will mit individuellem Design Lust auf Filme im Kino machen.

Warum kann ein preiswertes Vergnügen, wie der Besuch eines Kinos, kein Ereignis sein? Ein Ereignis, das den Besucher schon beim Betreten des Foyers gefangen nimmt und ihn unmerklich in die Welt der Illusion hinüberleitet? Wenn die Innenarchitektin Anne Batisweiler über Film und Kino redet, kommt sie rasch ins Schwärmen. Kino, das ist für sie etwas besonderes. Das ist eine Welt der Träume und der Erwartungen, Kino ist die Vorfreude auf das Filmereignis und zugleich ein Raum, in dem sich Glamour und Realität treffen. Wer ihre individuell gestalteten Häuser besichtigt, etwa das Münchner Atelier im Sonnenhof oder das Royal am Goetheplatz, stellt nicht nur fest, dass sich beide Objekte sehr stark unterscheiden und auf unterschiedliche Zielgruppen und Kinokonzepte zugeschnitten sind, wohltuend erkennt man, dass das Stilbewußtsein von Anne Batisweiler modischem Schnickschnack keiner Raum gibt. Egal, ob -wie im Atelier- ein eher avantgardistisches, sachlich klares Konzept gefragt war, oder ein mehr populäres (Royal), beides wurde mit klarer Konsequenz umgesetzt.

Träume und Solidität

Begonnen hatte die „Kino-Karriere“ der Anne Batisweiler mit dem Münchner Atelier. Kinos zu gestalten hatte sie zwar immer interessiert, doch als Dozentin lehrte sie an der Fachhochschule in Rosenheim bei Professor Toni Lüdi zunächst im Fach Szenografie. Als sie am Schwarzen Brett einen Aufruf zur Neugestaltung des Münchner Ateliers fand, nahm sie Kontakt mit Klaus Boje, Georg Kloster und deren Münchner Theaterleiter Michael Seidel auf.
Rasch war man sich über die Neugestaltung einig. Jetzt konnte sie beweisen, dass sie nicht nur gute Ideen hat, sondern auch in der Lage ist, sie kostengünstig und in time umzusetzen. Batisweiler: „Kinoträume sind etwas Wunderbares. Die Betreiber möchten jedoch, dass die Träume eine solide Basis bekommen und sie zum vereinbarten Termin ihr Haus eröffnen können. Dann sollen die Besucher ein Ambiente vorfinden, das von ihnen angenommen wird, funktional ist und die kommenden 20 Jahre nicht aus der Mode kommt. Bei all der ganzen Fantasie und Lust, die mit der Gestaltung eines Kinotraumes verbunden sind, darf man die Grundlagen nicht außer acht lassen. Das Filmtheater ist eine Freizeitstätte, die ihre Investitionen wieder hereinspielen muß. Auch daran muß ein Architekt denken, wenn er ein Haus gestaltet. Die erste Frage ist für mich, was erwartet der Zuschauer von einem Kino? Einen Film kann er auch im Fernsehen oder auf Video sehen. Aktuelle Filme laufen heute auch bei der Konkurrenz im Kino nebenan. Wie erreiche ich es, dass der Zuschauer mein Haus bevorzugt? Als Architekt muß ich wie ein Theaterbetreiber denken und Präferenzen für das Haus entwickeln“.

Jedes Haus anders

Dazu gehört für Anne Batisweiler, jedem Filmtheater und jedem Saal seine besondere Individualität zu geben oder hervorzuheben. Das Royal mit seinem nüchternen und dennoch eigenwilligen städtebaulichem Akzent, erhielt als Kontrast den Königs- (D) und Drachensaal (E) sowie ein Raumschiff (B). Im Münchner Gabriel an der Dachauer Straße, das sich einige Jahrzehnte von seiner traditionsreichen Geschichte verabschiedet hatte, knüpft jetzt wieder an seine alten Glamour-Zeiten an. Als erstes fällt beim Betreten des Foyers der Bruch-Marmor-Boden aus den 60er Jahren auf. Damals eine preiswerte Lösung, sind solche Böden, so Batisweiler, heute nahezu unbezahlbar.
Nicht nur deswegen plädierte sie für den Erhalt des Bodens. Er ist, wie andere Details ein Bindeglied zur Geschichte des Hauses und zugleich besonderer Ausdruck seiner Individualität. Auch die Saaldecke aus den 60er Jahren wurde erhalten. Wie damals fällt auch heute das Licht durch die fächerartige Konstruktion, die sich an den Wänden fortsetzt und für Highlights sorgt. Die Mischung zwischen Bar, Café und funktionalem Foyer lockt auch Passanten an, die nur für einen Kaffee oder Snack hereinschauen.

15_03_03_Beitragsbild_02_Gabriel-01Das Foyer und der Saal 1 im „Gabriel Lichtspiele“ in München.

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15_03_03_Beitragsbild_04_Kino-Royal-_-009Der Raumschiffsaal im Royal, München.

15_03_03_Beitragsbild_07_Ambo-04Das Foyer und der Saal 4 im Ambo, Stuttgart.

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Kino-Dramaturgien

Der nächste Schritt ihrer Kino-Dramaturgie ist der Zuschauerraum als „Passage zur Traumwelt“. Wenn der Vorhang aufgeht soll nichts vom Film ablenken und zuvor soll alles auf den Film einstimmen. Hier setzt sie vor allem auf die Farben der Bestuhlung und eine Beleuchtung, die den Raum und die Farben zur Wirkung bringt. Teil ihres dramaturgischen Konzeptes sind ein Vorhang und der schöne Gong aus den frühen Kino-Jahren – Mittel, die es einfach machen, den preiswerten Filmbesuch zu einem großen Ereignis zu gestalten: „Mit relativ wenigen Mitteln lässt sich heute eine wirkungsvolle Lichtdramaturgie entwickeln, die für eine faszinierende Überleitung zum Film sorgt und das Kino zum Teil der Film- und Traumwelt macht. Jenseits der Kino-Träume denkt die Innenarchitektin auch darüber nach, wie ein Haus zu Nebenzeiten einer zusätzlichen Nutzung zugeführt werden kann, ohne jedoch das klare Kino-Konzept zu verletzten. Nicht nur bei zahlreichen deutschen Kinobetreibern haben sich die erfolgreichen Projekte von Anne Batisweiler herum gesprochen, auch bei George Lukas ist man auf sie aufmerksam geworden. Die ideale Kombination der Absorbtionsflächen und die weiche Lagerung des Innenausbaus (z.B. mit Filz oder Gummi unterlegt) sorgt im Royal E – ihrem Drachensaal – für einen der besten THX-Sounds auf der ganzen Welt.

Mit neuem Touch

Über neue Aufgaben muß sich Anne Batisweiler keine Gedanken machen. Ihr Erfolg bringt ihr nicht nur neue Kunden, die Atelier-Eigner Boje und Kloster lassen von ihr gerade die Münchner Kinos Ricks und Hollywood, die jetzt unter dem Namen Atlantis firmieren, überarbeiten. Neben einem neuen Touch für die Häuser soll auch die Funktionalität des Foyers verändert werden. In Halle gestaltet sie das Capitol-Center neu und im niederbayerischen Deggendorf entsteht das ambitionierte Kino-Center der Familie Schattenfroh. Frech und witzig zugleich präsentiert sich in Kornwestheim das von ihr gestaltete Little Red, bei dem die Vorgaben der Hauptfarbe im Namen schon feststand. Was ist für Anne Batisweiler besonders wichtig, wenn sie in Kino plant oder renoviert? „Nicht nur die große Linie muß stimmen, auch die Details, damit sich der Zuschauer wohl fühlt, damit er sich an das Kino und den Saal, in dem er zwei Stunden saß, positiv erinnert.
Dazu gehört der Sitzkomfort, ebenso wie der Reihenabstand und die freie Sicht auf die Leinwand. Die kleinen Dinge müssen auch stimmen. Man sollte auch an besondere Ereignisse denken. Etwa an Premieren mit Darstellern und Regisseuren – ein Mikrofonanschluß darf im Saal nicht fehlen und das richtige Licht, um die Gäste in Szene zu setzen.
Was nutzt eine Premiere oder ein Event, wenn es nicht richtig rüberkommt?“

15_03_03_Beitragsbild_05_Mephisto_UlmKino-Café im Mephisto, Ulm.

15_03_03_Beitragsbild_06_AtelierFoyer des Atelier, München.

 

Beitrag in filmecho 51-52/1995
Autor: Mit Anne Batisweiler sprach Roland Keller
Verlag: KG Verlag Horst Axtmann GmbH & Co.
www.filmecho.de