Frohe Schatten
Das Lichtspielhaus in Deggendorf
Kinoplanung – Eine Herausforderung
Kinoarchitektur ist Unterhaltungs- und Freizeitarchitektur mit Erlebnis und Konsumschwerpunkt. Die Kinobranche boomt, die Besucherzahlen sind steigend, das Filmangebot groß wie nie. Kombinationen mit Einkaufszentren, multikulturellen und gastronomischen Einheiten sollen das Angebot abrunden und die verschiedenen Bereiche gegenseitig positiv beeinflussen. Der Besucher erwartet ein Erlebnis, dass sich vom „Spielfilmgucken“ zu hause unterscheidet. Man trifft sich und tauscht sich über das Gesehene aus. Gute Planung muß all dies berücksichtigen und unterstützen.
Auf der Suche nach dem Besonderen
Grundsätzlich sind wie bei jeder Gestaltung, so auch bei einem Kino, die Besonderheiten und Potentiale dieser einen speziellen Aufgabe herauszufinden: Handelt es sich z.B. um einen Familien- oder Traditionsbetrieb, um eine Kinokette, oder ist der Auftraggeber eine GmbH mit unterschiedlichen Personen? Werden hauptsächlich Familien- und Kinderfilme, Blockbuster, amerikanische Mainstream-Produktionen oder anspruchsvolle Kunstfilme gezeigt? Hat die Architektur oder der Ort des Kinos eine besondere Geschichte, Form, Ästhetik, ein interessantes Umfeld, spezielle Materialien und Farben oder auch Zwänge, die berücksichtigt werden müssen?
Soll neu-, um- oder angebaut werden? Wie sehen die zeitlichen und örtlichen Möglichkeiten sowie das Budget aus? Und so weiter und so fort… Am Anfang stehen also viele Fragen, deren Beantwortung in Zusammenarbeit mit dem Bauherrn, den Grundstock für die Gestaltung setzt.
Die 3 Charaktere
Kinoplanung unterscheidet 3 Bereiche: Das Foyer mit Entree, Kartenverkauf, Concession und Werbeflächen, den Kinosaal / die Kinosäle mit den angegliederten Projektionsräumen und Ausgängen / Fluchtwegen sowie verschiedene Lager-, Technik- und sonstige Nebenräume.
Ein Foyer sollte eine helle, freundliche, einladende, unterhaltsame und informative Atmosphäre haben, wo der Service (Tickets, Essen und Trinken, Programm, Warten, …) und die Orientierung (zu den Kinosälen, Toiletten, Ausgängen etc.) gut funktionieren. Dem Vandalismus sollte kein Vorschub geleistet werden.
Der Kinosaal selbst profitiert von möglichst dunkler Farbgebung, interessanter Lichtgestaltung (kein Tageslicht!), komfortabler Bestuhlung, optimalen klima- und schalltechnischen, akustischen und Sichtverhältnissen, Beinfreiheit, Robustheit und einer großen Bildwand. Zum Projektionsraum sei noch angemerkt, daß er neben den Vorschriften, die er zu erfüllen hat, in der Summe eine möglichst personalarme Anordnung aufweisen sollte, was u.U. auch einen sparsamen Einsatz von Filmkopien ermöglicht.
Bei den Nebenflächen sind insbesondere ihre Zuordnung im Gesamtkonzept, ausreichende Dimensionierung, kurze Wege, gute Erreichbarkeit (Barrierefreiheit, breite Öffnungen, …) und pflegeleichte Materialwahl entscheidend.
Geld spielt immer eine Rolle
Der Kinobesuch ist nach wie vor eines der preiswertesten Freizeitvergnügen, bezogen auf die rund 2-3 Stunden, die sich ein Besucher dort durchschnittlich aufhält. Das muß auch bei der Kostenplanung berücksichtigt sein. Wenn mit möglichst wenig Personal möglichst viele Sitzplätze bedient werden können, rechnet sich das Objekt umso besser. Und je schneller der Umbau bzw. je kürzer die Bauzeit, desto weniger Betriebs- und Gewinnausfallzeiten. Der Kinoplaner kann und muß folglich – mit großer Verantwortung – eine Menge für seinen Bauherrn leisten.
Altes Haus – (fast) ganz neu
Umbau eines Lichtspielhauses
Das Lichtspielhaus in Deggendorf ist die Erweiterung eines vorhandenen Kinogebäudes, daß zu einem Großteil abgetragen wurde.
Wegen der Abstandsflächenregelung mußte ein Teil der Außenmauern stehen bleiben, sonst wäre der Bau einiges kleiner geworden. Zur Straße hin, bekam das Kino ein völlig neues Gesicht, aus Glas und Aluminium, mit einem prägnanten Tonnendach aus Blech.
Statt nur einem großen Saal beherbergt es nun 2 weitere Säle, so daß der Komplex mit den beiden kleineren Kinosälen (Bambi und Movie) im Nebenhaus, von bisher 3 auf 5 Leinwände vergrößert wurde. Auch das Foyer wurde deutlich großzügiger und erstreckt sich nun auf 2 Etagen mit verbindendem Luftraum.
Der Empfang bestimmt das Gefühl
Die Konzeption des doppelstöckigen Foyers, sollte neben zusätzlicher Fläche, den Weg zu den oberen beiden Kinosälen abkürzen und durch die Anordnung von Sitzplätzen entlang der Glasfassade einen belebten Zustand mit vielen Besuchern nach außen tragen. Obwohl zum Teil nur 2,40 m Raumhöhe zur Verfügung standen, läßt die für ein Foyer eher ungewöhnliche Beleuchtung ein drückendes Gefühl erst gar nicht aufkommen. Der Sichtbeton wurde mit einer Lasur behandelt, was nicht nur Gelegenheit gab Unregelmäßigkeiten verschwinden zu lassen, sondern eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Freundliche Farben, wie sanftes Blaugrün, warmes Rot oder frisches Mint wechseln ab mit ebenfalls warm oder kalt anmutenden Materialien. Deckenschallabsorptionselemente sorgen für angenehme Akustik, verdecken gleichzeitig Kameras, Beschallung und Verkabelung für die daran befestigte Beleuchtung.
Die Liebe zum Detail
Details wie die Windschutzblenden am Foyereingang, Wegeführungselemente, die Integration von Lüftungsrohren und Licht, die transparenten, zweiseitig nutzbaren Plakatträger oder die gebogene Brücke zum WC-Bereich runden die Gestaltung ab. Auf den mit Glimmer versehenen Gußasphaltboden soll hingewiesen werden, weil er nicht nur wunderschön glamourmäßig funkelt, sondern gleichzeitig besonders strapazierfähig und pflegeleicht ist. Überhaupt war bei der Planung immer wichtig, Funktion und Gestaltung zu einer Einheit werden zu lassen.
Von Kobolden, bunten Lichtern und Meeresrauschen
Das Lichtspielhaus ist ein Traditionsbetrieb, der in 3. Generation von derFamilie Schattenfroh betrieben wird. Schnell stand fest, daß einer der neuen Säle den Besitzern gewidmet werden sollte. Aus Schattenfroh wurden also „frohe Schatten“. Abwechselnd, in weißem Licht schimmernde Kobolde, die hinter schwarzen, tanzenden Zauberbäumen vor Morgen- bzw. Abendrot leuchtendem Hintergrund frech hervor blinzeln – so entstand das „Shadow“.
Ein weiterer Kinosaal war vom Auftraggeber als „Graffiti“ gewünscht. Nachdem die ersten Entwürfe noch Graffitis oder Sprühdosen darstellten, wurde die Gestaltung mehr und mehr reduziert, bis ein Extrakt aus bunten quadratischen Farbflächen in einem schwarzen Raum übrig blieb. Der Clou jedoch ist, daß die Farbflächen zwar langsam, doch stetig ihre Farbe wechseln. Ein Feld, das eben noch grün war, leuchtet plötzlich rot, dann gelb, während das daneben z.B. von blau auf orange gewechselt ist usw..
Der ganz große Saal, welcher direkt vom Kassenfoyer aus erreichbar ist, hatte aus Kosten- und konstruktiven Gründen eine schräge Bodenebene, die nach vorne zur Bildwand abfällt. Er erinnert damit adhoc an ein Schiff, welches gerade zwischen Wellenberg und Wellental hin- und herschaukelt. Dieser mit verschieden abgestuft blauen Wellen und Gischt aus Glasfaserlicht gestaltete Saal heißt nun „Titanic“ und war natürlich der Renner, als just im Winter 1997 / 1998 der gleichnamige, erfolgreichste Film aller Zeiten dort gezeigt wurde.
Planungsbüro: Anne Batisweiler, München
Planungsbeteiligte: Dipl.-Ing. Fachrichtung Innenarchitektur Udo Precklein, Dipl.-Ing. Fachrichtung Innenarchitektur Beate List
Büroprofil: Büro seit 1990
Schwerpunkte: Kinos, Büros, Gastronomie
Fotos: Wolfgang Pulfer, München
Text: Anne Batisweiler
Beitrag in BDIA Handbuch 1999
Autor: Anne Batisweiler
Verlag: B-M-V KONTOR GmbH
www.bdia.de
ISBN: 3-9804601-9-3